„Vision Zero“-Summit: Lauterbach plant eine Art Tinder für Krebsstudien (2024)

Jeder Krebs-Tod ist einer zu viel! Darüber waren sich die Visionäre der Krebs-Medizin am Montag und Dienstag beim großen „Vision Zero“-Krebskongress bei BILD einig!

Zum fünften Mal kamen die Top-Experten aus Forschung, Industrie und Politik im Berliner Axel-Springer-Hochhaus zusammen, um darüber zu diskutieren, wie man der Vision Zero näher kommen kann. Also dem Ziel, jeden unnötigen Krebs-Tod zu verhindern.

Der Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (61, SPD) erklärte beim Kongress seinen Plan für die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens. Er betonte dabei vor allem die besondere Rolle von Künstlicher Intelligenz (KI): „Wir sind am Anfang einer Revolution.“

Laut ihm könne KI künftig der „geduldige Arzt, der unfassbar viel gelesen hat“ sein. Das könne zu mehr Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung führen, weil dieser geduldige Arzt dann auf dem Smartphone unbegrenzt zugänglich wäre.

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Auch bei der Auswertung von Studiendaten kann KI helfen. Der Minister setzt sich dafür ein, dass diese schneller beim Patienten ankommen. Ein Plan: Anwendungen, die Patienten und Forscher wie bei Tinder „matchen“. Krebs-Patienten werden per Pushnachricht über Studien, für die sie infrage kommen, informiert.

Gemeinsam dem Krebs die Rote Karte zeigen

Prof. Christof von Kalle, wissenschaftlicher Leiter des Kongresses, mahnte zu Beginn der Veranstaltung: „Es gibt nicht eine große Maßnahme, mit der wir den Krebs besiegen können – sondern viele kleine.“ Er verwies dabei auf Beispiele aus anderen Ländern wie ein Rauchverbot gegen Lungenkrebs in Großbritannien oder ein Impfprogramm gegen Gebärmutterhalskrebs in Schottland.

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Judith Pirscher (57, FDP), Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung, betonte in ihrem Grußwort: „Auch in der Krebsforschung ist das geeinte Europa ein großer Vorteil. Wenn wir die Kräfte bündeln, schaffen wir die Vision Zero und stellen mit der Roten Karte den Krebs vom Platz.“

Vor fünf Jahren startete das Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit vielen weiteren Partnern eine bisher einmalige Initiative: die Nationale Dekade gegen Krebs. Ihr Ziel: Einen gemeinsamen Masterplan schaffen, um die Krebsforschung entscheidend voranzubringen.

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Prof. Michael Hallek, Vorstand von Vision Zero und Direktor der Klinik für Innere Medizin der Uniklinik Köln und des Centrums für Integrierte Onkologie (CIO), ordnete während seines Impulsvortrags ein: „Wir müssen in Deutschland zusammenarbeiten, wenn wir wettbewerbsfähig sein wollen.“ Dazu gehöre auch das Eindämmen bürokratischer Hürden: „Es muss klar werden, dass Bürokratie schwere Nebenwirkungen haben kann – bis zu tödlichen Nebenwirkungen, wenn sie uns zu langsam macht.“

Prof. Hallek betonte, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Forschern, Industrie und Politik sei. Und dass man Patienten dringend mit ins Boot holen muss: „Krebs ist ein großer Gegner, den wir nur gemeinsam bekämpfen können.“

TV-Arzt und Kabarettist Eckhart von Hirschhausen moderierte die Runde, in der es darum ging, was die Initiative schon erreicht hat. Ein großer Gewinn sei dabei die Zusammenarbeit mit Patienten. Hedy Kerek-Bodden hat den Krebs besiegt und sagt heute, sie würde sich einen weiteren Ausbau der Patiententeilhabe wünschen. „Wir können dabei noch so viel vom Ausland lernen.“

Auch Klaus Kronewitz hat den Krebs überlebt und regt an, Männer zu Vorsorgeuntersuchungen einzuladen, um die Hemmschwelle zur Prävention zu senken.

In der anschließenden Panel-Diskussion gab Prof. Michael Baumann, Vorstand vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) Heidelberg, einen Ausblick nach fünf Jahren der Nationalen Dekade: „Wir wollten nicht, dass nach zehn Jahren ein langes Programm endet – sondern etwas erreichen, was auch strukturell für die Zukunft Möglichkeiten gibt.“

Das Wissen sei überall gleich, doch die Anwendung unterscheide sich. Jeder Einzelne könne etwas zur Prävention tun, aber die Politik müsse auch die Rahmenbedingungen anpassen.

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Auch seltene Krebserkrankungen besser behandeln

Eine weitere Vision für die Zukunft: Tumore noch früher erkennen und besser behandeln. Auch wenn sie zu den ganz seltenen Krebsarten gehören. Denn: Jeder vierte Patient in Deutschland hat die Diagnose eines seltenen Krebses. Problematisch ist, dass viele Mediziner ihn nicht erkennen.

Markus Wartenberg von der Patientenvertretung erzählte etwa, er habe viele Patienten erlebt, bei denen die Behandlung zu spät oder falsch erfolgte. „Wir brauchen frühe und richtige Diagnosen“, betont er, es gebe sehr vieles, was besser gemacht werden müsse, damit auch Behandlungen zeitnah und richtig erfolgen können.

„Denn der erste Behandlungsschritt hat keine zweite Chance“, ergänzt Prof. Angelika Eggert, Direktorin der Klinik für Kinderonkologie und -hämatologie der Charité Berlin. Sie moderierte das Panel.

Prof. Peter Reichardt, Chefarzt der Onkologie und Palliativmedizin am Helios-Klinikum Berlin-Buch, fordert: „Die zweite Hälfte der Dekade sollte auch Raum für die seltenen Tumorerkrankungen bieten.“

Denn: 47-Prozent-Überlebensrate bei seltenen Krebsarten sei inakzeptabel, da sind sich die Experten einig.

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Neue Therapien bei Brust-, Prostata- oder Lungenkrebs?

Dass die Krebs-Medizin immer individueller wird, zeigte sich in der vergangenen Woche: Fast stündlich gab es neue gute Nachrichten vom ASCO, dem weltweit größten Krebskongress in Chicago. Prof. Martin Schuler, Direktor des Westdeutschen Tumorzentrums an der Uniklinik Essen: „Neue Daten zeigen, dass wir jetzt wirklich alle Patienten mit Lungenkrebs auf Biomarker hin untersuchen müssen, weil es selbst für seltene Unter-Gruppen deutliche Überlebensvorteile mit zielgerichteten Medikamenten gibt.“

Heißt: Patienten sollten wirklich in ein auf Lungenkrebs spezialisiertes Zentrum gehen, wo solche genetischen Veränderungen immer untersucht werden. Als Beispiel nannte Prof. Schuler Lungenkrebs, der „ALK-positiv“ ist. Prof. Schuler: „Mit dem Wirkstoff Lorlatinib gab es nach 5 Jahren bei 60 Prozent der Patienten kein Fortschreiten der Erkrankung. Normal war bisher, dass die Krankheit im Mittel bereits nach acht Monaten wieder kam.“ Eine Entwicklung also, die Mut macht!

Auch neueste Therapieansätze bei Brustkrebs und Prostatakrebs stellten die Top-Experten mit Begeisterung vor.

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Prof. Nadia Harbeck, von der LMU München, berichtete unter anderem von einer neuen Methode, bei der die Prognose beim Brustkrebs mithilfe einer Künstlichen Intelligenz gestellt werden kann. „Selbst bei besonders aggressiven Tumoren konnte das die Prognose begünstigen.“ Beim Prostatakrebs hingegen werde auch die Nuklearmedizin immer wichtiger, sagte PD Dr. Jozefina Casuscelli, LMU München: „Nicht nur in der Diagnostik, auch in der Therapie.“

Tag 2 startet mit dem Fokus auf Patienten

Der zweite Tag des Vision Zero Kongress startete mit einer Diskussion um die Gesundheitswirtschaft. Stefanie Polat von Siemens Healthineers Insead und Heinrich Moisa von Novartis Deutschland moderierten das Panel.

„Natürlich stehen die Patienten bei der Vision Zero im Mittelpunkt, es geht jedoch nicht ohne die wirtschaftliche und politische Dimension“, sagte Polat einleitend, in Deutschland gebe es die besten Grundlagen, es müsse jedoch mehr getan werden, um den Anschluss nicht zu verlieren.

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Moisa ergänzte, dass Medizin Leben rettet – damit Medizin überhaupt erst beim Patienten ankomme, brauche es jedoch die Gesundheitswirtschaft als Schlüsselindustrie. „Während andere Industrien unter Druck sind, wird die Gesundheitswirtschaft noch aufgebaut“, sagte er, Deutschland profitiere von der Industrie. „Wir nehmen mehr ein, als wir für Gesundheit ausgeben.“

Damit alle profitieren, benötige es jedoch ein funktionierendes Daten-Ökosystem, die Förderung von Fachkräften und einen erleichterten Zugang für Patienten.

Wie finden Sie sich im Behandlungsdschungel zurecht?

Bereits am Montag kam immer wieder zur Sprache, wie verloren Patienten im Behandlungsdschungel sein können. Am Dienstag ging es deshalb genau darum: Wie finden Patienten sich zwischen all den Informationen zurecht?

Beate Bergatt-Kuhl berichtete dazu aus ihrem Alltag als Lotsin in einer Hämato-Onkologischen Ambulanz. „Für mich stehen die Patienten an erster Stelle“, betonte sie. Doch selbst mit identischen Erkrankungen benötige nicht jeder Patient einen Lotsen. Ist der Patient jedoch verängstigt oder aufgeregt, könne ein Lotsengespräch beruhigen und Sicherheit geben. „Es gibt auch spezielle Untersuchungen, für die man sich die Zeit nehmen sollte, das Ergebnis mit einem Lotsen zu besprechen.“

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Zusätzlich gibt es sogenannte PROMs (Patient-reported outcome measures), spezielle Fragebögen für Patienten, damit sie Informationen mit Medizinern und Forschern teilen können – und gleichzeitig eine Rückmeldung erhalten. Allerdings: „Das hat nie den Pilotstatus verlassen“, erklärte die Ärztin und Expertin für PROMs, Dr. Valerie Kirchberger, es fehle vorrangig an Geld, damit die Fragebögen jedem Patienten in jedem Gesundheitszentrum, bei Ärzten oder in Krankenhäusern zur Verfügung stehen.

Dr. Sebastian Schmidt-Kaehler, Co-Direktor bei der Bertelsmann-Stiftung, bekam vor 14 Jahren selbst die Diagnose Krebs und fand sich in einer Flut aus Informationen wieder – im Schock und unfähig, die vielen Informationen zu verarbeiten. Er präsentierte daher eine Vision einer nationalen Gesundheitsplattform, auf der ähnlich wie bei Facebook oder LinkedIn Informationen sehr stark reduziert werden und dem Patienten sowie Ärzten zur Verfügung stehen.

Impfschlusslicht Deutschland: Wie schützen wir uns besser vor Krebs durch HPV?

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Humane Papillomviren (HPV) bilden eine Gruppe von Viren, die als krebsauslösend gelten. Und obwohl es Impfungen gibt, die die Viren abwehren und so die Auslösung von Krebs verhindern könnten, lassen sich in Deutschland viel zu wenige Menschen dagegen impfen.

2021 waren demnach nur 54 Prozent der Mädchen und 27 Prozent der Jungen gegen HPV geimpft. „Wir sehen außerdem seit 2019 einen dramatischen Rückgang, das muss uns wachrütteln“, mahnte DAK-Vorstand Andreas Storm.

Er sagte, Deutschland benötige drei zentrale Elemente, um das zu ändern: „Zielgruppenspezifische Prävention sowie Aufklärung, eine entsprechende Ansprache und niedrigschwellige Impfangebote müssen ausgebaut werden.“ So könne beispielsweise in den Schulen oder über Impfbusse geimpft werden. Zusätzlich könne ein digitales Einladungs- und Erinnerungssystem über die Krankenkassen helfen.

Gesundheitspolitik 4.0 - was steckt dahinter?

Han Steutel, Präsident des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa), Rainer Birkenbach von Brainlab, Andrew Ullmann (FDP, Bundestagsabgeordneter), Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Krebspatientin und Influencerin Alexandra von Korff diskutierten schließlich über die Entwicklung unseres Gesundheitssystems.

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„Wir haben ein hervorragendes universitäres System in Deutschland – aber ausländische Studenten als Fachkräfte hier zu halten, ist eine große Herausforderung“, erklärte Birkenbach.

„Wir haben viel Entwicklung gesehen, aber wir können noch viel, viel mehr erreichen“, sagte Han Steutel mit Blick auf die Medikamenten-Entwicklung in Deutschland. Es sei wichtig, auch für ausländische Firmen offenzubleiben. „Wir verdienen jeden Tag Geld an den forschenden Pharma-Unternehmen in Deutschland.“

Große Freude bei Vision Zero Summit Preisträgern

Zum großen Finale des Vision Zero Summit wurde schließlich der Vision Zero Preis verliehen: Die diesjährigen Preisträger sind Dr. Anna Kron und Rudolf Hauke.

„Ich stehe hier stellvertretend für ein großes Netzwerk“, sagte Dr. Anna Kron, die für ihre Arbeit in der Lungenkrebsforschung ausgezeichnet wurde.

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Rudolf Hauke ist selbst seit mittlerweile 23 Jahren Krebspatient und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Patientenbeteiligung in vielen Bereichen selbstverständlich geworden ist. „Dass ich hier heute so stehe, dazu haben drei Dinge beigetragen: die Forschung, die Ärzte und meine Ehefrau, die mich durch sehr schwierige Zeiten überragend begleitet hat“, bedankte er sich.

Zum Abschluss stellten Dr. Julia Löffler und Prof. Michael von Bergfeld die Ergebnisse des Vision Zero Pioneer Bootcamp vor. Das Camp fand am 8. April als digitaler Workshop statt. „Es wurden alle Ansätze von möglich bis unmöglich diskutiert“, erzählte von Bergfeld, bevor Löffler auf einzelne Ergebnisse einging.

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Author: Virgilio Hermann JD

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